Kurz nach der Veröffentlichung meines letzten Artikels wurden mir zwei schwere Lebendtaubenflinten zur Vermarktung anvertraut, die mich veranlassten, dieser Flintensektion diesen Artikel zu widmen.
Zunächst einmal möchte ich diesen Sport und seine Regularien kurz erklären. Bei dem Lebendtaubenschießen handelt es sich um einen Schießsport, der erstmals im frühen 19. Jahrhundert in einer regelbasierten Weise praktiziert wurde. Für die europäische Version galten folgende Regeln:
Die Tauben wurden einzeln in 24 bis 31m Schussentfernung, je nach Handicap des Schützen, halbkreisförmig in fünf Boxen mit je 5m Seitenabstand zueinander platziert.
Ein parallel zum Halbkreis der Boxen, 16m entfernter und 1m hochgezogener Zaun begrenzte das Feld.
Die Boxen wurden dann einzeln, nach dem Zufallprinzip, auf das Kommando „Pull“ des sich im Ring befindlichen Schützen geöffnet.
Ziel war es, die Taube innerhalb der Begrenzung zu schießen.
Zu Zeiten, als Fernsteuerungen noch nicht zum Alltag gehörten, wurde mittels Schnüren und Seilzügen die Box durch Ziehen an derselben geöffnet, daher auch das Kommando „PULL“, das bis zum heutigen Tage bei vielen Tontaubenschützen zum Abrufen Gültigkeit hat. Die hierfür verwendeten Tauben wurden speziell auf Geschwindigkeit gezüchtet.
Aber nicht nur das: Um ihre Flugweisen unvorhersehbar zu gestalten, wurden zum Beispiel Stoßfedern manipuliert und andere Grausamkeiten ausgeführt, die ich nicht weiter erwähnen möchte.
Gott sei Dank handelt es sich bei dieser sogenannten „sportlichen Betätigung“ um eine sehr exotische, der Vergangenheit angehörende! Für diesen Sport wurden Flinten konstruiert und gebaut, die aggressivst verladene Patronen mit hoher Vorladung klaglos verdauten. Bis zu 52g Blei wurden aus solchen Flinten verschossen. Aus diesem Grund wurden Lebendtaubenflinten immer auf stärkeren, breiteren und tieferen Baskülen gebaut. Proportional erscheinen diese Flinten dem geübten Auge sofort mächtiger, sind aber dennoch elegant. Auch die Läufe waren schwerer und hatten mindestens 76 cm Lauflänge. Die Laufschienen waren häufig ventiliert und in breiter Form ausgelegt. Die Chokes dieser Flinten waren meist sehr eng. Höchste Durchschlagskraft auf moderate Entfernungen musste sichergestellt sein. Häufig wurden Einabzüge für eine noch schnellere Schussfolge verbaut. Auf eine Sicherung wurde konsequenterweise gänzlich verzichtet.
Eine bis zu 4.500 g schwere Lebendtaubenflinte wirft nichts so leicht aus dem Rennen, eine durchschnittlich 3 kg schwere Jagdflinte wirkt dagegen fast nervös. Leichte Flinten und Jagdflinten würden das mit kurzer Lebensdauer und unangenehmem Schießverhalten quittieren.
Bei „Side by Side“ sowie den „Over & Under“-Ausführungen dieses speziellen Typs findet man oftmals einen sogenannten „3rd bite“ oder eine Puppenkopfverriegelung zur Stabilisierung des Systems. Es handelt sich hierbei um eine verlängerte Laufschiene, die beim Schließen der Waffe zusätzlich den Verbund von Lauf zu System stabilisiert.
Bei dieser Art von Flinten hat man eben allerhöchsten Wert auf Stabilität und Funktion gelegt, schließlich wurde häufig um exorbitante Beträge gewettet! Eine Niederlage durch Funktionsstörung wäre undenkbar gewesen.
Rein äußerlich leicht zu unterscheiden, haben LTFL einen massiveren Vorderschaft, die Form ist ebenfalls breiter und schwerer. Sie haben einen deutlich höheren Schaftrücken, oftmals in der Form als Monte-Carlo-Schaft bezeichnet.
Apropos, die Hinterschaftform Monte Carlo ist im Fürstentum Monaco entstanden und stellte eine Optimierung der Waffe für diesen Wettbewerb dar. Monte Carlo war zwischen 1872 und 1960 eine absolute Hochburg dieses Sportes. Der Legende nach wurde das Lebendtaubenschießen in MC dadurch beendet und untersagt, als Grace Kelly eine halbtote Taube vor die Füße viel und ihr Fürst Rainer dieses für alle Zukunft ersparen wollte.
Was für ein Gentleman!
Veröffentlicht durch “dieflinte” – Ausgabe 03/2017