Dass dies in der von der Redaktion gewählten Rubrik „Oldtimer“ passiert, nehme ich hin …
Ich wünsche mir, dass meine Inhalte die Leserschaft bei der Bildung einer Meinung zu Flinten unterstützen und bei einer Kaufabsicht eine Entscheidung erleichtern, zumal eine oder auch mehrere feine Flinten mehr Spaß bereiten als negative Zinsen.
Als ehemaliger Repräsentant für Deutschland und Österreich des international aufgestellten Auktionshauses Holts mit Schwerpunkt „feine Jagd- und Sportwaffen“ habe ich mit Waffen jeglicher Herkunft zu tun. Beste Gebrauchte zu vermitteln, ist folglich mein tägliches Brot. Meine Leidenschaft gehört jedoch eindeutig der feinen Flinte.
In England, dem Mutterland dieser Traumstücke, haben aufgrund der miesen Wetterverhältnisse begnadete Handwerker mehr Zeit an ihrer Werkbank verbracht, als dies ihre Festlandkollegen an anderen Orten Europas taten, so meine spöttische Theorie. Im Ergebnis wurden zwischen 1850 und 1940 unzählige Patente geschaffen und deren Weiterentwicklungen bis zum technischen „Knock-out“ betrieben. Diese so erarbeiteten Standards von feinen Flinten prägen noch heute die hochpreisigen Brands/Marken. Ebenso wurde in den fast 150 Jahren Flintenevolution die Formgebung für diese feinen Waffen von den Briten perfektioniert.
Bis heute setzen sie Maßstäbe in Funktion, Eleganz und Balance! Auf der Insel hat sich früh das Tätigkeitsfeld des Büchsenmachers in diverse Teilbereiche gegliedert, wodurch sich jeder davon spezialisieren konnte. So gibt es im wesentlichen einen Rohrmacher, einen Systemmacher, einen Schlossmacher, einen Schäfter und einen „Finisher“ (das ist derjenige, der u. a. die Fischhaut schneidet und die Schäfte mit unverwechselbarer, englischer Handpolitur veredelt).
Nun zu dem, was eine feine Flinte in meinen Augen ausmacht:
Die Läufe:
• Leicht und lang, als Chopperlump oder Demiblock gebaut. (Das bedeutet, daß das Patronenlager, das Hakenstück und der Lauf aus einem Stück gefertigt sind.)
• Gleichmäßig gebohrt mit gleichmäßiger Wandstärke, leicht konisch in der äußeren Kontur, zylindrisch bis zu den Chokes in der inneren Kontur.
• Fehlerfrei zueinander garniert und verlötet.
Solch ein Laufbündel stellt ein kleines Kunstwerk für sich dar und klingt wie eine Glocke, wenn man es vorsichtig anschlägt.
Wenn man eine feine Flinte mit geschlossenen Augen in die Hand nimmt, erklärt sich dem feinfühligen Schützen sofort, was ich meine.
Was für eine Balance … und nicht nur das, auf der Jagd merkt man sofort, dass die verschossene Garbe besonders ist. Die unzähligen Stunden, in denen der Rohrmacher mit dem Bleikolben die Läufe mit dem Ziel bearbeitet, eine besonders gleichmäßige Deckung der Schrote zu erreichen, ist wirklich spürbar. Jedes beschossene Huhn oder Fasan würde meine Aussage bestätigen. Für die Taubenjagd und den fast der Vergangenheit angehörenden elitären Sport des Lebendtaubenschießens hat die Qualität der Garbe oft über „Sein und Haben“ entschieden.
Sicher ist, die Herren Meisterschützen haben in der Vergangenheit um kleinere oder größere Vermögen geschossen und nichts dem Zufall überlassen, wenn sie an den Ring getreten sind. Deshalb sind auch heute noch die Lebendtaubenflinten aus der Zeit von 1900–1939 heiß begehrt.
Zurück zur feinen Flinte, schauen wir einmal weiter, wie sich diese zusammen- setzen:
Das System:
Jeder, der schon einmal eine feine Flinte in den Händen gehalten hat, kann sich an das satte Schließgeräusch des Systems erinnern, gerne wird es mit dem saugenden Schließen eines Safes verglichen. Hier klappert und scheppert nichts.
• Herzstück der Flinte, trägt wie selbstverständlich die Schlösser, den Abzug und die Sicherung.
• Es stellt in der Linienführung den perfekten Übergang zum Lauf. In den Passungen von Metall zu Metall lässt sich die Meisterschaft des Herstellers erkennen.
• Die Bauhöhe und die Tiefe eines Systems, proportional zum Kaliber, entscheidet über die Eleganz ebenso wie über die Stabilität einer Flinte.
Der Schaft:
Bei der feinen Flinte ist der Schaft nicht nur schön anzuschauen, beim Wangenkontakt im Anschlag spürt man, dass die Poren gefüllt sind. Das Holz ist auf Leinölbasis so poliert, dass sich auf der Oberfläche eine Fliege ein Bein bre- chen könnte. Deshalb gleitet die feine Flinte an ihren Platz und muss nicht gezerrt oder gerissen werden. Zum Schluss noch, eine solche Waffe ist individuell angemessen und maßgefertigt, zumindest aber angepasst.
• Die Übergänge und Passungen von Metall zu Holz sind perfekt und ein weiteres Merkmal in Sachen Qualität!
• Hier entscheiden Spaltmaße über „best english“ oder „provincial“.
Die Form eines Hinterschaftes ist Geschmackssache. Für mich ist der englische Schaft bei Flinten mit Doppelabzug und bei solchen mit Einabzug der „Prince of Wales“-Schaft das Maß der Dinge! Abschließend möchte ich noch mit einem weitverbreiteten Irrglauben aufräumen. Die „Over&Under“ oder im germanischen „Bockwaffe“ (die Ableitung und das Wort empfinde ich als grauenhaft, deshalb nut- ze ich es auch nicht) ist eine ältere Konstruktion als die sogenannte „Side by Side“.
Joseph & John Manton, die ersten namhaften Londoner Büchsenmacher, haben schon um 1785 „Over&Under“-Waffen höchster Qualität gebaut. Ich habe schon Radschlosskonstruktionen gesehen – hergestellt um 1560 – die diesem Bauprinzip gefolgt sind. Bei aller Verliebtheit in die britischen Flintenkunstwerke muss ich natürlich zugeben, dass auch „andere europäische Mütter schöne Töchter haben“, dazu aber in den nächsten Ausgaben mehr!
Veröffentlicht durch “dieflinte” – Ausgabe 02/2017